Die neuen Pakte sind da. Entfristungsoffensive – (noch) Fehlanzeige
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Die neuen Pakte sind da. Entfristungsoffensive – (noch) Fehlanzeige

Am Freitag, 3. Mai 2019, hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) drei „Pakte“ zur Sonderfinanzierung von Lehre und Forschung beschlossen:

  • Der Hochschulpakt, der seit 2007 zur Finanzierung zusätzlicher Studienplätze geschlossen dient, heißt jetzt: Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken (ZSL) und wird auf Dauer gestellt. Von 2021 bis 2023 fließen jährlich 3,8 Milliarden Euro hälftig finanziert von Bund und Ländern. Diese Summe wird ab 2024 auf jährlich 4,1 Milliarden Euro erhöht und soll 2027 neu verhandelt werden.
  • Der Qualitätspakt Lehre heißt jetzt Innovation in der Hochschullehre und wird ebenfalls auf Dauer gestellt. Die Mittel werden von 200 auf 150 Millionen Euro pro Jahr gesenkt. Es soll eine neue unabhängige, aber organisatorisch unselbständige Organisationeinheit zur Förderung der Lehre und Vergabe der Mittel gegründet werden.
  • Beim Pakt für Forschung und Innovation, der zur Finanzierung der vier außeruniversitären Forschungsinstitute und der DFG geschlossen wurde, wird die bereits bestehende jährliche Steigerung von 
  • 3 Prozent bis 2030 fortgeschrieben.

Zukunftsvertrag: Verhandlungsprobleme und Vergabekriterien

Mit der Kampagne Frist ist Frust und den über 15.000 Unterschriften für die gleichnamige Petition ist uns in den letzten beiden Verhandlungsmonaten ein Teilerfolg gelungen: Es wurde sehr viel über das Ziel gesprochen, mehr unbefristete Beschäftigung zu schaffen. Zwischenzeitlich stand sogar der Vorschlag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Raum, dies zu einem formellen Vergabekriterium für die Mittel des Zukunftsvertrag zu machen. Leider haben die Länder dies abgelehnt, sodass nun folgende drei Kritierien für die Berechnung zur Vergabe der Mittel herangezogen werden: die Zahl der Studienanfänger*innen (20%); die Zahl der Studierenden (innerhalb von Regelstudienzeit + 2 Semester) (60%) und die Zahl der Studienabschlüsse (20%).

Weitermachen oder aktiv werden: In den Ländern die Entfristung erkämpfen!

Wie genau läuft nun die Vergabe der Mittel an die Länder? Der Zukunftsvertrag enthält unter anderem das Ziel, mehr “Dauerstellen für Daueraufgaben” schaffen zu wollen (vgl. Blog Wiarda). In ihrer ersten Stellungnahme haben einige Länder auch bereits erwähnt, dieses Ziel verfolgen zu wollen, andere Länder schieben die Verantwortung rhetorisch den Hochschulen zu, wieder andere haben dazu nichts gesagt. Die Stellungnahmen der Länder, des BMBF und weiterer Organisationen wurden in diesem Twitter-Thread gesammelt.
Das BMBF will im Rahmen des neuen Zukunftsvertrages mit jedem Bundesland einzeln “Verpflichtungserklärungen” abstimmen, in denen jedes Land beschreiben soll, “wie es das Ziel der Entfristung von Stellen umsetzen will und auch in welcher Größenordnung”. Diese Verpflichtungserklärungen sollen veröffentlicht werden. Hier entsteht also Spielraum für Interventionen unsererseits! Ab jetzt können wir uns alle an unsere Landesregierungen wenden und sie auffordern, das Paktziel der Dauerstellen ernst zu nehmen und sich bei der Umsetzung gefälligst Mühe zu geben. Sie freuen sich sicher auf Post, Anrufe und Besuche von euch. Alle existierenden Twitteraccounts von Wissenschaftsministerien, Wissenschaftsminister*innen oder andersfalls -staatssekretär*innen wurden hier gesammelt.

Einschätzung: Studienplätze, Arbeitsbedingungen und Betreuungsverhältnisse

Der Zukunftspakt wird vonseiten der Politik und der Presse bisher vor allem dafür gelobt, dass er überhaupt zustande gekommen ist und weil er mit dem Mittelaufwuchs ab 2024 die zu erwartende Entwertung der Paktmittel durch Inflation ausgleiche und dadurch die Finanzierung der Lehre auch dauerhaft gesichert sei. Doch müssen für die Beurteilung der Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse noch weitere Aspekte betrachtet werden. Insgesamt sind seit der Einführung des Hochschulpakts im Jahr 2007 neben dem deutlichen Aufwuchs an Studierendenzahlen auch die Beschäftigungszahlen an den Universitäten gestiegen. Interessanterweise stieg seit 2007 im deutschen Durchschnitt die Anzahl der Professuren und der Vollzeitäquivalente im Mittelbau nur um 22 bzw. 24%, die Anzahl der Lehrbeauftragten aber um 72%. Somit trugen die HSP-Mittel zwar zu einer deutlichen Steigerung der Grundmittel von Universitäten und Fachhochschulen bei, jedoch führte der Aufwuchs der Grundmittel nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingeungen.

Weiterhin muss festgehalten werden, dass sich trotz der Hochschulpaktmittel die Betreuungsrelationen verschlechtert haben (d.h. es kommen immer mehr Studierende auf jede*n Wissenschaftler*in). Dies liegt vor allem daran, dass die Studienplatzpauschale in Höhe von 26.000 €, die bisher pro Studienanfänger*in gezahlt wird, seit 2007 nicht erhöht wurde und heute deutlich unterhalb der tatsächlichen Kosten liegt, die für einen Studienplatz im Durchschnitt anfallen. Der Hochschulpakt hat – so lässt sich zusammenfassen – den Abwärtstrend bei der Studienfinanzierung nur abgemildet, nicht aber verhindert. Außerdem wurde die bisherige Befristung der Mittel stets als Begründung angeführt, weshalb die wüschenswerten Daueranstellungen jenseits der Professur nicht geschaffen wurden. (vgl. Untersuchung zum HSP)

Ohne ausreichende Grundmittel kaum Grund zur Freude

Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen bleibt es abzuwarten, wie konkret die Mittel des Zukunftspakts Studium und Lehre stärken (ZSL) nun genau von den Ländern an die Hochschulen verteilt werden. Mit Sorge betrachten wir eine Entwicklung, in der einerseits Hochdeputatsstellen (Lehrkräfte für besondere Aufgaben, LfbA) geschaffen werden und auf der anderen Seite kontinuierlich mehr Geld in die Forschungsdrittmittel des Bundes (die DFG – dies wurde mit dem Pakt für Forschung und Innovation bestätigt) fließt. Diese Spaltung von Lehre und Forschung führt perspektivisch zu einer schlechten Qualität der Lehre, die nicht mehr an die Erkenntnisse aus Forschung und wissenschaftlichem Austausch gekoppelt ist. Hier muss grundlegend umgesteuert werden – weg von den Drittmitteln zugunsten einer deutlichen Anhebung der Grundmittel, um den heutigen und zukünftigen Bedarf an Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften zu decken.

Und immer weiter: Den Diskurs verändern

Um dies zu erreichen, müssen wir den Diskurs weiter verändern: Im Bund, bei den Ländern, bei den Rektor*innen und an den vielen Lehrstühlen und Professuren. Als kleine Hoffnung und wegweisende Entwicklung blicken wir auf die erfolgreiche Petition zum „Entfristungspakt“. Und aus den Ländern gibt es durchaus zumindest Erklärungen im Sinne unserer Forderungen, dass der entfristete Pakt nun genügend Mittel bereitstellt, um Dauerstellen zu schaffen. Dass dies Realität wird, können wir nur zusammen erreichen – im Einzelfall, an vielen Orten und ganz grundlegend, indem wir jetzt in den Ländern dafür sorgen, dass es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt!